Unter einer Radiusfraktur (distale Radiusfraktur) versteht man einen Bruch des unteren Teils der Speiche (Radius) nahe dem Handgelenk. Sie werden auch als körperferne Brüche des Speichenknochens bezeichnet. Meist sind solche Brüche Resultat eine Sturzes auf das Handgelenk. Die Radiusfraktur findet sich bei Kindern häufig in Form einer so genannten Grünholzfraktur, das bedeutet, der Knochen ist zwar gebrochen, aber die Knochenhaut noch intakt. Tritt dagegen eine Radiusfraktur zusammen mit einer Gelenkverrenkung der Elle am Handgelenk auf, so wird dies als Galeazzi-Fraktur bezeichnet. Die Radiusfraktur ist die zweithäufigste Fraktur (10 bis 25 Prozent) nach dem Schlüsselbeinbruch. Meist sind Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren und ältere Menschen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren betroffen. Grund dafür ist die hohe Sturzgefahr sowie die Veränderung der Knochenstruktur durch Osteoporose im hohen Alter.
Der Unterarm besteht aus den beiden Knochen Elle (Ulna) und Speiche (Radius) Diese Knochen bilden die knöcherne Verbindung zwischen Hand- und Ellenbogengelenk. An der Außenseite des Unterarms liegt die Elle und übernimmt dessen Führung im Ellenbogengelenk. Die Speiche dagegen befindet sich an der Innenseite (Daumenseite) und trägt die Hand einschließlich der Handwurzelknochen.
Die gängigste und einfachste Klassifikation ist die Einteilung in:
Hierbei handelt es sich lediglich um eine grobe Fraktureinteilung, die natürlich therapieweisende Fragen unbeantwortet lässt. Eine weitere Einteilung erfolgt nach der AO-Klassifikation (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese), welche jedoch etwas komplizierter ist. Diese sieht folgendermaßen aus:
Diese Frakturen reichen nicht in das Gelenk. Diese Art der Fraktur kommt häufig bei älteren Menschen vor. Durch den Druck beim Sturz werden die Knochenfragmente so zusammen gestaucht, dass sich die Speiche verkürzt.
Hier ist der so genannte Griffelfortsatz, der sich am Radiusknochen in der Nähe des Gelenks befindet, abgebrochen. Der Radius trägt am Übergang zur Mittelhand so genannte Gelenklippen.
Der entstandene Bruchspalt ist hier häufig Y- oder T-förmig.
Mit Hilfe dieser Klassifikation lassen sich alle distalen Radiusfrakturen abbilden und konkrete Therapieentscheidungen treffen.
Ursächlich für die handgelenksnahe (distale) Radiusfraktur sind Stürze, mit dem Versuch sich abzufangen, also ein Sturz auf die abstützende Hand. Meist ist das Handgelenk dabei gestreckt (extendiert), seltener gebeugt (flektiert).
Es gibt zwei Hauptformen in der Entstehung des Unterarmspeichenbruchs, die Colles- und Smith-Fraktur. Die meist überwiegende Colles-Fraktur, auch Radiusextensionsfraktur genannt (Sturz auf die ausgestreckte Handinnenfläche, etwa 85 Prozent aller Radiusfrakturen), wird bei einer Handgelenkstreckung zwischen 40 und 90 Grad hervorgerufen. Ist das Handgelenk noch mehr gestreckt, so kommt es meist zu einer Verletzung der Handwurzelknochen, während bei geringerer Streckung oft Unterarm und Ellenbogen verletzt werden. Die Smith-Fraktur hingegen, auch Radiusflexionsfraktur genannt, entsteht durch das Aufstützen auf die Oberseite der Hand.
Die Ursachen, warum Patienten überhaupt stürzen, können natürlich sehr unterschiedlich sein. Im Sommer können vor allem Sportarten wie Inliner-Fahren oder Skateboard-Fahren, zu gelenksnahen Speichenbrüchen führen, im Winter hingegen spielt Glatteis eine wichtige Rolle. Im höheren Lebensalter können Herzrhythmusstörungen oder Störungen der Gehirndurchblutung zu Schwindelanfällen und damit zu vermehrten Stürzen führen.
Bei einer distalen Radiusfraktur treten folgende Beschwerden auf:
Aufgrund der Schmerzen nimmt der Patient eine Schonhaltung ein. Im Handgelenk findet keine eigentätige Bewegung mehr statt (Funktio laesa). Liegt eine stark verschobene Verletzung vor, so besteht meist eine Bajonettfehlstellung des Handgelenks, dass heißt der handgelenksnahe Speichenbruch hat sich handrückenwärts und gleichzeitig speichenwärts verschoben, wodurch das typische Bild einer Bajonettstellung des Unterarms imponiert. Oft lassen sich zudem bei dem Versuch der Handgelenksbewegung Reibegeräusche des gebrochenen Knochens erzeugen (Krepitationen).
Wichtig ist, dass man bei der Untersuchung auch nach begleitenden Gefäßverletzungen und Nervenverletzungen schauen sollte, um Folgeschäden zu vermeiden. Zudem sollte man auch nach weiteren Verletzungsfolgen suchen. Dazu gehören handgelenksnah:
Weiterhin können handgelenksfern auftreten:
Der erste Schritt in der Diagnostik erfordert zunächst eine umfassende ärztliche Untersuchung, um das Ausmaß der sichtbaren Schäden zu klären. Anschließend wird bei begründetem Verdacht auf eine Fraktur, in jedem Fall eine Röntgenaufnahme des Handgelenks in zwei Ebenen (von vorne und seitlich) durchgeführt. Die Röntgenaufnahme ist wichtig für die Bestätigung der Verdachtsdiagnose, Einschätzung des Frakturausmaßes und -art, zur Ausschlussdiagnostik anderer handgelenksnaher Frakturen und zur Therapieplanung. Besteht der Verdacht auf Handwurzelverletzungen, so können Spezialaufnahmen angefertigt werden. In Ausnahmefällen, wie z.B. bei Frakturen mit ausgedehnter Zerstörung der Handgelenksfläche, kann eine Computertomographie (CT) notwendig sein. In seltenen Fällen kann die Magnetresonanztomographie (MRT) zur Abklärung von Weichteilverletzungen erforderlich sein.
Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung der normalen Beweglichkeit der Hand. Voraussetzung hierfür ist, dass die Knochenenden in ihre ursprüngliche Stellung gebracht werden. In der Medizin wird dies auch als Reposition bezeichnet, also das wieder hineinsetzen. Grundsätzlich kann der Bruch sowohl konservativ als auch operativ therapiert werden. Die Entscheidung wird anhand des Röntgenbildes gestellt. Alle instabilen Frakturen müssen grundsätzlich operativ versorgt werden. Anzeichen für eine instabile Fraktur sind:
Liegen drei oder mehr der oben genannten Kriterien vor, so ist von einer instabilen Fraktur auszugehen. Der Bruch sollte in diesem Fall operativ versorgt werden. Bei instabilen Frakturen ist eine ausreichende Brucheinrichtung und Stabilisierung im Gipsverband meist nicht zu erreichen.
Die Konservative Therapie kommt vor allem bei einfachen Radiusfrakturen zum Einsatz, die durch manuelle Reposition (Fraktureinrichtung) stabilisiert werden können. Hierzu gehören die Frakturen vom Typ A (siehe AO-Klassifikation). Am Anfang jeder Therapie steht zunächst die Fraktureinrichtung (Reposition) und im Anschluss die Frakturstabilisierung bzw. Frakturruhigstellung (Retention) durch einen Gips-Verband. Einfache nicht verschobene (nicht dislozierte) Brüche müssen nicht eingerichtet werden. Hier reicht eine Behandlung über sechs Wochen im Gipsverband aus. Hierzu gehören die meisten kindlichen Radiusfrakturen (ca. drei Wochen Gips).
Bei der Fraktureinrichtung wird der Arm unter Narkose an drei Fingern (Daumen, Zeige- und Mittelfinger) aufgehängt. Des Weiteren befestigt man am Oberarm des Patienten ein Gewicht von drei Kilogramm. Die Knochenenden werden dann mittels Druck in die richtige Position gebracht. Noch während der Behandlung wird das Repositionsergebnis durch ein Röntgendurchleuchtungsgerät kontrolliert und gegebenenfalls sofort korrigiert. Ist die Gelenkstellung wieder achsgerecht und anatomisch korrekt, so wird der Arm in einem Gipsverband ruhig gestellt, damit die Knochen problemlos zusammenwachsen können. Der Gips sollte bis zu den Mittelhandköpfchen reichen und das Handgelenk sich in 20 bis 30° Streckstellung befinden. Wichtig ist, dass der Faustschluss und die Ellenbogenbeugung durch den Gipsverband nicht behindert werden. Nach der Gipsanlage ist eine weitere Röntgenstellungskontrolle erforderlich, um eine sekundäre Dislokation durch die Gipsanlage auszuschließen.
Alle instabilen Brüche und alle Frakturen mit begleitenden Gefäß- und Nervenverletzungen werden operativ versorgt. Auch Brüche, bei denen keinen befriedigende Brucheinrichtung gelingt, müssen operativ behandelt werden. Der Patient muss vor jeder Operation über die Art des Eingriffs, Alternativen sowie Risiken und Erfolgsaussichten informiert werden und schriftlich sein Einverständnis geben. Die Wahl des Operationsverfahrens (Osteosyntheseverfahren) richtet sich nach dem Alter des Patienten, dem Frakturtyp (Klassifikation), der Knochenqualität und den begleitenden Weichteilverletzungen. Meist erfolgt die Operation notfallmäßig noch am Unfalltag. Besteht dagegen eine starke Weichteilschwellung, so muss gegebenenfalls drei bis fünf Tage abgewartet werden bis operiert werden kann. In der Zwischenzeit sollte man Hochlagern, Kühlen und die Fraktur im Gips ruhig stellen. In der Regel werden folgende operative Verfahren durchgeführt:
Sowohl bei der konservativen als auch bei der operativen Therapie kann es zu Komplikationen kommen. Komplikationen bei der konservativen Therapie:
Komplikationen bei der operativen Therapie:
Die Prognose ist abhängig von der Bruchform, der Frakturversorgung sowie der Nachbehandlung (Physiotherapie). Nur bei fachgerechter Therapie und intensiver physiotherapeutischer Nachbehandlung kommt es in der Regel zu einer vollständigen Wiederherstellung der Handgelenksfunktion. Andernfalls kann es zu Falschgelenkbildung und zur Handgelenksarthrose kommen. Prinzipiell haben ausgedehnte Handgelenksverletzungen eine schlechtere Prognose, auch bei optimaler Therapie.
Bei Radiusfrakturen zeigen vor allem Kinder eine sehr gute Spontanheilung, weshalb hier die konservative Therapie meist problemlos abläuft. Normalerweise heilen unkomplizierte Frakturen folgenlos aus. Nach vier bis sechs Wochen kann die Hand meist für einfache Greiftätigkeiten benutzt werden. Bei komplizierten Radiusfrakturen kann der Heilungsverlauf bis zu einem halben Jahr und sogar länger andauern.
Tipps zur Vorbeugung eine Radiusfraktur:
Wichtige Tipps zum Umgang mit der Gipsschiene:
Letzte Aktualisierung am 07.05.2021.