Unter einer Hüftdysplasie versteht man eine Fehlentwicklung der Hüftgelenkspfanne. Der Hüftkopf ist nicht genügend gesichert, weil das knöcherne Dach des Hüftgelenkes nicht richtig ausgebildet ist. Es handelt sich um eine kindliche Reifungsstörung mit Störung der Pfannendachverknöcherung. Der Hüftkopf kann in der weiteren Entwicklung aus der Pfanne auskugeln (luxieren) und dadurch eine Hüftluxation entwickeln.
Bei der Hüftgelenksluxation ist das Hüftgelenk also nicht vollständig geschlossen, dadurch findet der Gelenkkopf keinen sicheren Halt und kann aus seiner Gelenkpfanne herausrutschen. Dieser Prozess wird als Auskugeln bzw. in der Medizin als Luxation bezeichnet.
Die Hüftgelenksluxation muss nicht zwingend aus einer Dysplasie entstehen. Es handelt sich vielmehr um eine Komplikation, die aus dem Krankheitsbild der Hüftgelenksdysplasie folgen kann. Die Luxation ist im Wesentlichen abhängig vom Ausmaß der Fehlbildung und der Dauer des Zeitraums ohne Behandlung.
Die Hüftgelenksluxation und Hüftdysplasie sind die häufigsten angeborenen Fehlbildungen.
In Deutschland sind etwa zwei bis fünf Prozent aller Neugeborenen von einer Hüftdysplasie und 0,4 bis 0,7 Prozent von einer Hüftgelenksluxation betroffen. Mädchen sind von dieser Fehlbildung etwa siebenmal häufiger betroffen als Jungen. Das Leiden tritt besonders in den Regionen Sachsen und Thüringen auf.
Grundsätzlich kann man drei verschiedene Ursachen einer Hüftdysplasie und Hüftgelenksluxation unterscheiden:
Die Unterteilung kann auch in innere (endogene) und äußere (exogene) Faktoren erfolgen. Zu den äußeren Ursachen gehört beispielsweise eine Fehllage der Gebärmutter (Uterus), welches den Hüftkopf in der Hüftpfanne verschieben kann. Als innere Faktoren kommen hingegen bestimmte Hormone in Frage (vor allem die weiblichen Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron), die während einer Schwangerschaft im Blut zirkulieren und eigentlich dafür sorgen, dass der Beckenring der Mutter zur Geburt gelockert wird. Anscheinend wirken sich diese Hormone auch auf weibliche Föten aus und lockern die Hüftgelenkkapsel des Kindes.
Verschiedene Risikofaktoren können die Entwicklung einer Hüftdysplasie und Hüftgelenksluxation fördern.
Folgende Faktoren sind während der Schwangerschaft sicher belegt:
Beim Neugeborenen muss eine Hüftdysplasie oder auch Hüftgelenksluxation nicht unbedingt Beschwerden verursachen. Meist fällt eine Hüfterkrankung erst mit Beginn des Laufens auf. Das kindliche Hüftgelenk besitzt jedoch nur bis zum Ende des 2. Lebensjahres eine Nachreifungspotenz. Deshalb ist eine frühzeitige Diagnosestellung von großer Bedeutung.
Hinweisende Symptome können hier sein:
Das erste Symptom einer Hüftgelenksdysplasie ist bei der Geburt häufig nur ein instabiles Hüftgelenk (Ortaloni-Zeichen), welches sich bei 80 Prozent der Neugeborenen spontan wieder zurückbildet und sich dadurch das Hüftgelenk wieder weiter normal entwickeln kann. Wird jedoch von außen weiter Druck auf den Hüftkopf und somit die knorpeligen Pfannenränder ausgeübt, so kann sich die Pfanne verformen und das Gelenk zerstört werden. Zudem kommt es bei Fehllage des Hüftkopfes zu einer Verkürzung der Muskulatur. Dies erschwert zusätzlich die Stabilisierung des Gelenkes, so dass in der Folge eine Hüftgelenksluxation entsteht.
Typische Symptome einer Hüftgelenksluxation und Hüftdysplasie sind:
Die Diagnose der Hüftdysplasie sowie der Hüftgelenksluxation wird in erster Linie über die körperliche Untersuchung gestellt.
Die Diagnostik umfasst folgende Schritte:
Bei der Erhebung der Anamnese sollte der Arzt zielgerichtet auf die oben genannten Risikofaktoren eingehen. Weitere wichtige Fragen sind:
Bei einer Hüftgelenksluxation tritt der Hüftkopf höher, so dass man hier bei einer einseitigen Luxation (Auskugelung) eine Asymmetrie der Gesäßfalten erkennen kann. Doch nicht jede Faltenasymmetrie muss unbedingt ein Hinweis auf eine Hüftgelenksluxation sein.
Besteht dagegen eine beidseitige Luxation, so ist hier keine Asymmetrie vorhanden, da beide Hüften ausgekugelt sind. Diese Kinder kompensieren dies jedoch mit einer verstärkten Hohlkreuzbildung (Hyperlordose).
Bei der körperlichen Untersuchung wird zunächst das Hüftgelenk auf Stabilität und Auskugelbarkeit überprüft. Hier ist vor allem die Untersuchungsmethode nach Ortaloni zu nennen. Bei dieser Untersuchung wird versucht, das Hüftgelenk gezielt durch Druck von außen auf den Hüftkopf auszukugeln oder zumindest auf den Pfannenrand des Beckens zu stellen. Im Anschluss versucht nun der Untersucher durch eine Lageveränderung des Hüftkopfes, den Hüftkopf wieder in die Pfanne zurückspringen zu lassen, welches als deutliches spürbares schnappen oder klicken wahrnehmbar ist. Dieses Phänomen wird in der Medizin als positives Ortaloni-Zeichen bewertet. Das Ortaloni-Zeichen lässt sich bei einem gesunden Hüftgelenk nicht auslösen.
Problematisch ist diese Untersuchung bei einer Hüftluxation, da der Hüftkopf nicht wieder in die Pfanne springt. Das Ortaloni-Zeichen lässt sich hier ebenfalls nicht auslösen.
Wegen der Gefahr der Hüftkopfschädigung sollte das Ortaloni-Zeichen heute nicht mehr durchgeführt werden.
Der Ultraschall der Säuglingshüfte ist das wichtigste Diagnostikum einer Hüftdysplasie. Im Ultraschall ist das Verhältnis zwischen Hüftkopf und Hüftpfanne zu sehen und die knorpeligen Pfannendachantelie beurteilbar. Der Ultraschall sollte routinemäßig bei der U2 und U3 durchgeführt werden. Vorteil diese Methode ist, dass sie frei von jeglicher Strahlenbelastung ist und daher beliebig oft wiederholt werden kann. Zudem ist hier auch eine dynamische Untersuchung möglich. Das bedeutet also, dass das Hüftgelenk unter Bewegung untersucht und das Verhalten von Hüftkopf zur Pfanne bei Bewegung beurteilt werden kann.
Die Aussagefähigkeit der Ultraschalluntersuchung nimmt mit zunehmender Verknöcherung von Hüftkopf und Hüftpfanne ab. Sie kann daher bis zur Beendigung des ersten Lebensjahres durchgeführt werden, danach ist die Röntgenuntersuchung überlegen.
Das Röntgenbild hat eine nur begrenzte Aussagekraft hinsichtlich der frühzeitigen Diagnosestellung, da große Teile des Hüftgelenks noch nicht knöchern, sondern nur knorpelig angelegt sind. Die Röntgenuntersuchung ist nur bei Kindern sinnvoll, die behandelt werden müssen. Nach jeder behandelten Hüftgelenksluxation ist eine abschließende Röntgenuntersuchung erforderlich, um einen Gelenkabbau (Hüftkopfnekrose) auszuschließen.
Bei Bedarf wird ein Röntgenbild erst nach dem ersten Lebensjahr gemacht. In der Regel wird eine so genannte Beckenübersichtsaufnahme (BÜS) angefertigt. Das Becken wird hierbei mit den Hüftgelenken von vorne nach hinten geröntgt.
Die Therapie einer Hüftdysplasie und Hüftgelenksluxation ist abhängig von der Symptomatik und dem Alter des Kindes zum Zeitpunkt der Diagnosestellung. Je älter das Kind ist, desto aufwendiger und schwieriger ist die Therapie. Bleibt eine Hüftgelenksluxation im Säuglingsalter über die zweite bis vierte Lebenswoche hinaus bestehen, so kann sie mit einer so genannten Spreizhose behandelt werden.
Können die Beine nicht mehr abgespreizt werden und ist die Muskulatur verkürzt, so können muskelentspannende Maßnahmen (Krankengymnastik) durchgeführt werden. Im Anschluss wird der Hüftkopf wieder in die Pfanne zurückverlagert. Dies kann entweder manuell oder mithilfe von Bandagen oder Apparaturen erfolgen. Des Weiteren wird dafür gesorgt, dass der Hüftkopf nicht wieder aus der Pfanne springt. Dies erreicht man auch mithilfe von Bandagen oder mit Schienungen (Abspreizschienen, Laufschienen). Bei Instabilitäten muss man unter Umständen das Gelenk vorübergehend im Gipsverband ruhigstellen.
Nicht operative Behandlungsmaßnahmen führen meistens im ersten Lebensjahr zum Erfolg. Daher ist eine frühzeitige Therapie sinnvoll. Dadurch kann dass Pfannendach wieder nachreifen und somit eine Hüftarthrose im Erwachsenenalter verhindern. Liegt bereits bei der Geburt eine Hüftgelenksluxation vor, so ist hier zunächst eine Einrenkung des Gelenkes erforderlich, bevor die Abspreizbehandlung erfolgen kann. Dazu eignet sich am besten die so genannte Extensionsbehandlung. Dadurch erfolgt eine Einrenkung des Hüftkopfes in die Hüftpfanne. Mit dieser Methode kann man in der ersten beiden Lebensjahren fast immer eine Heilung erreichen.
Zu den konservativen Therapiemaßnahmen gehören:
Durch eine gezielte Stellung des Hüftkopfes in der Hüftpfanne, versucht man das Wachstum des dysplastischen Pfannendaches günstig zu beeinflussen. Dies kann man mit verschiedenen Hilfsmitteln erreichen. Häufig angewendet wird die Spreizhose oder die Hüftbeugeschiene. Das Hüftgelenk wird durch diese Hilfsmittel abgespreizt und stark gebeugt, wodurch sich der Hüftkopf tief in die Hüftpfanne einstellt. Das Kind kann weiterhin relativ uneingeschränkt mit den Beinen strampeln. Diese Therapie ist jedoch nur innerhalb der ersten zwölf Lebensmonate sinnvoll.
Bei einer höhergradigen Hüftdysplasie muss der Hüftkopf zunächst wieder in die Hüftpfanne eingesetzt werden (Reposition). Geeignet ist hierfür beispielsweise die Bandage nach Palvik, bei der eine sehr starke Beugung im Hüftgelenk erfolgt und dieser dann in dieser Position fixiert wird.
Durch die fixierte Position des Hüftkopfes besteht jedoch die Gefahr einer Durchblutungsstörung. Hierdurch können Teile des Hüftkopfes absterben und die Funktion des Hüftgelenkes dauerhaft beeinflussen. Die Bandagenbehandlung wird meist erst nach der 6. Lebenswoche bis zum 2. Lebensjahr angewandt. Auch hier können noch Strampelbewegungen durchgeführt werden.
Kann das Repositionsergebnis nicht gehalten werden, so kommen Fixierungen durch Schienen und Gips in Frage. Meist wird der so genannte Fettweiß-Gips angewendet. Dabei wird das Hüftgelenk 100 bis 110° gebeugt und etwa 45° abgespreizt. Dieser Gipstyp wird in der Regel von den Kindern gut toleriert.
Werden die Krankheitsbilder nicht oder zu spät erkannt, so kann es im weiteren Verlauf zu Veränderungen am Gelenk kommen. In solchen Fällen hilft häufig nur noch ein operativer Eingriff, um Bewegungseinschränkungen und Schmerzen zu beheben und weitere Gelenkzerstörungen zu verhindern.
In der Regel kommen operative Maßnahmen erst nach Versagen der konservativen Therapie zur Anwendung. Häufig werden Eingriffe im Bereich des Pfannendaches mit Stellungskorrekturen des Hüftkopfes am Schenkelhals gemeinsam durchgeführt.
Häufig angewendete Hüftkorrekturverfahren am Becken sind:
Die Beckenosteotomie nach Salter gilt als Standardverfahren in den ersten Lebensjahren. Bei diesem Verfahren wird zunächst der Knochen des Darmbeins durchtrennt. Über den so entstandenen Spalt wird die Hüftgelenkspfanne nach außen und vorne so weit verschoben, dass sie sich über den Hüftkopf stülpt. Diese Konstruktion wird dann anschließend mit einem Knochenkeil gehalten und durch spezielle halbstarre Metallstifte fixiert.
Bei dieser Technik wird lediglich ein Knochenkeil so in den Bereich des Pfannendaches eingestoßen, dass sich der Pfannendach nach außen und nach unten vergrößert. Bei diesem Verfahren wird kein Knochen durchtrennt.
Diese Methode kommt bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zur Anwendung, da in diesem Alter die Beckenosteotomie nach Salter nicht mehr durchführbar ist. Bei der Triple-Osteotomie werden alle drei knöchernen Bereiche des Beckens, also das Sitzbein, das Darmbein und das Schambein durchtrennt und so verschoben, dass sich die Hüftgelenkspfanne über den Hüftkopf stülpt.
Ziel aller operativen Verfahren ist das bessere Überdachen des Hüftkopfes, damit sich die Last über einen größeren Anteil des Hüftkopfes verteilen kann. Zudem soll eine dauerhafte, stabile Festigung des Gelenkes und die Wiederherstellung einer möglichst natürlichen Anatomie erreicht werden, um spätere Gelenkschäden in Grenzen zu halten.
In fast allen Phasen der Behandlung sollte eine begleitende Physiotherapie oder Krankengymnastik erfolgen. Hierbei sollten vor allem diejenigen Muskeln trainiert werden, die das Hüftgelenk stabilisieren können.
Nach der Bandagenbehandlung oder einer Operation ist meistens eine Ruhigstellung des operierten Gelenkes erforderlich. Dies ist notwendig, damit das Gelenk schneller und besser heilt. Leider verkürzen sich durch die Ruhigstellung auch die umgebenden Muskeln und Bänder. Aufgrund dessen ist das ausgeheilte Gelenk oft nicht mehr so gut beweglich. Auch hier ist die Physiotherapie mit ihren gezielten Übungen sehr wichtig, um die Beweglichkeit so früh wie möglich wiederherzustellen. Sie sollte daher frühzeitig beginnen und konsequent durchgeführt werden.
Je früher die Erkrankung diagnostiziert wird und je jünger der Betroffene ist, desto besser sind die Erfolgsaussichten in der Therapie von Hüftgelenksluxation und Hüftdysplasie. In der Mehrzahl der Fälle heilt die angeborene Hüftgelenksdysplasie folgenlos aus, wenn sie frühzeitig erkannt und behandelt wird.
Wird die Erkrankung jedoch nicht oder erst spät erkannt, so kann es im weiteren Verlauf zu Veränderungen am Gelenk kommen. Im Laufe der Zeit kann es zu schweren Fehlbelastungen mit entsprechenden Deformierungen des Gelenkes kommen. In solchen Fällen hilft meist nur noch ein operativer Eingriff, um vor allem weitere Gelenkzerstörungen zu verhindern.
Zudem kann es ohne Krankengymnastik zu Durchblutungsstörungen des Hüftkopfes kommen. In der Folge kann des Gewebe des Gelenkkopfes zerstört werden (Hüftkopfnekrose), was dauerhafte Behinderungen nach sich ziehen kann.
Die Hüftgelenksluxation und Hüftdysplasie gehören zu den angeborenen Fehlstellungen. Leider gibt es keine Empfehlungen, wie man einer Hüftfehlstellung vorbeugen kann, da die hormonellen Veränderungen während der Schwangerschaft notwendig sind und eine Steißlage leider nicht immer vermeidbar ist.
Besonders wichtig ist hierbei die Früherkennung. Diese sollte am besten in den ersten Tagen nach der Geburt erfolgen, da nach einem Jahr ohne Behandlung, kaum noch mit einer vollständigen Heilung gerechnet werden kann.
Letzte Aktualisierung am 11.05.2021.